Artikel aus der  kritisch-linke Unipress, Artikel online

http://www.uni-mainz.de/Organisationen/gruenlinx/unipress/duggan_la_rouche_UP336_april_05.html

 

die kritische linke unterstützt die UNIPRESS, die Zeitung der Verfassten Studierendenschaft schon lange und gerne mit schlauen Artikeln. Nun haben wir uns endlich selbst in den Popo getreten und haben schon einige Artikel zusammengestellt


Wie starb Jeremiah Duggan?

von Sebastian Schneider
erschienen in UNIPRESS no. 336, april 2005

Tod in Wiesbaden

Erica Duggan muss mit den Tränen kämpfen, als sie auf einer Pressekonfeenz in
Wiesbaden über die beiden letzten Gespräche berichtet, die sie mit ihrem Sohn
führen konnte. Gegen 5:30 Uhr am Morgen des 27. März 2003 hatte Jeremiah sie
angerufen. In seiner Stimme lag Panik: „Mum, I’m in deep, deep trouble.“ Das
Gespräch wurde unterbrochen. 35 Minuten nach einem weiteren Gespräch, das erneut
unterbrochen wurde, gerade als Jeremiah seiner Mutter den Namen seines
Aufenthaltsortes buchstabieren wollte, war Jeremiah tot: überrollt von zwei
Autos auf einer Schnellstraße nahe Wiesbaden-Erbenheim. 
Für die deutsche Polizei war der Sachverhalt schnell klar. Der 22jährige
britische Student, der gerade ein Auslandssemester in Paris absolvierte, habe
sich umgebracht. Sehr schnell wurden die Ermittlungen eingestellt und die Leiche
freigegeben.

Für Jeremiahs Eltern dagegen war der Fall weniger eindeutig. Jeremiah hatte
keine persönlichen Probleme, führte eine glückliche Beziehung und bei einem
Telefongespräch noch 6 Tage vor dem angeblichen Suizid war er, so Erica Duggan,
„völlig normal“. Was war mit Jeremiah in Wiesbaden passiert? Warum lief er
gerade hier und mitten in der Nacht auf eine befahrene Straße? Was war der Grund
für seine Panik?
Der Schlüssel zum Verständnis der Ereignisse, so glauben Erica und Hugo Duggan,
liegt bei den OrganisatorInnen des Seminars, das Jeremiah in Wiesbaden besuchte.

Das Netzwerk des Lyndon LaRouche

Jeremiah Duggan war politisch nicht besonders interessiert. Im Frühjahr 2003
aber beteiligte er sich in Paris an Protesten gegen den Irak-Krieg und begann
Interesse an politischen Themen zu entwickeln. Vor der Uni kaufte er sich die
Zeitung „Nouvelle Solidarité“, die zu diesem Zeitpunkt mit Texten gegen den
Irak-Krieg aufmachte. Er kam mit dem Verkäufer der Zeitung ins Gespräch, traf
sich mit ihm und führte politische Diskussionen. Kurz darauf berichtete er
seiner Mutter, dass sein neuer Freund die Antwort auf viele große Probleme in
der Welt habe. Und er berichtete von dessen politischer Gruppe, die er sich nun
näher anschauen wolle. Darum werde er ein Seminar in Deutschland besuchen. Das
Seminar in Bad Schwalbach bei Wiesbaden mit dem Titel „Conference To Stop War
With Eurasian Development Strategy“ wurde ausgerichtet vom Schiller-Institut.
Das Schiller-Institut ist Teil des internationalen Netzwerkes des Amerikaners
Lyndon LaRouche, dessen in Deutschland bekanntester Teil die
Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) ist. Die LaRouche-Organisation ist eine
Politsekte, die von sich glaubt, das „Patentrezept“ zur Lösung aller Probleme zu
haben. Die Gruppe ist vollkommen auf ihren Führer Lyndon LaRouche ausgerichtet.
Im Zentrum ihrer Ideologie steht ein System von Verschwörungstheorien. Die BüSo
und das LaRouche-Netzwerk werden von den meisten SektenexpertInnen als
rechtsextrem und antisemitisch bezeichnet (siehe Wahn-GmbH und Co. KG).

Private Ermittlungen

Nach dem letzten Gespräch mit Jeremiah hatte Erica Duggan verzweifelt versucht,
herauszufinden, was mit ihrem Sohn passiert war. Sie hatte sich mit der
britischen Polizei in Verbindung gesetzt, hatte versucht, den Aufenthaltsort
ihres Sohnes heraus zu bekommen, hatte schließlich die Telefonnummer des
Schiller-Institutes ermittelt und dort angerufen. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie
noch nichts von Jeremiahs Tod. Aber auch Ortrun Kramer vom Schiller-Institut
konnte oder wollte ihr nicht mehr mitteilen, als dass das Schiller-Institut,
„keine Verantwortung für die Handlungen seiner Mitarbeiter“ übernehme. Vom Tod
ihres Sohnes erfuhr sie wenige Stunden später durch Beamte der britischen Polizei. 
Die dubiosen Umstände des angeblichen Suizids ihres Sohnes ließen den Duggans
keine Ruhe. Nachdem die Ermittlungen in Deutschland eingestellt worden waren,
begannen sie - trotz ihrer eingeschränkten Möglichkeiten - selbst zu ermitteln.
Sie befragten ehemalige Mitglieder der LaRouche-Organisation und erfuhren von
den Methoden der Indoktrination und Gehirnwäsche, die in der
LaRouche-Organisation angewendet werden. Aber vor allem sprachen sie mit
TeilnehmerInnen des Seminars in Bad Schwalbach.
Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass Jeremiah v.A. durch zwei
Umstände aufgefallen war: er war Jude und er hatte als Siebenjähriger eine
Therapie in der Londoner Tavistock-Klinik gemacht, weil sich seine Eltern zu
diesem Zeitpunkt getrennt hatten. Die Tavistock-Klinik ist eine weltweit
anerkannte Klinik, insbesondere im Bereich der Kinder- und Familientherapie. Im
Wahnsystem der LaRouche-Organisation spielt die Tavistock-Klinik aber eine
besondere Rolle: sie sei durch „ihre radikalen Experimente im Bereich der
individuellen und Massenmanipulation bekannt“ (BüSo-Website). Neben einem für
LaRouche typischen Ressentiment gegen Psychoanalyse und Psychotherapie spricht
aus dieser Einschätzung v.A. das verschwörungstheoretische Weltbild LaRouches.
Die Tavistock-Klinik wird von LaRouche-Organisationen immer wieder als Anstalt
bezeichnet, die vom „britischen Establishment“ für Hirnwäsche bei Kindern
benutzt würde. Bisweilen wird auch behauptet, in der Tavistock-Klinik würden
Mörder herangezüchtet. Nachdem Jeremiah Duggan auf dem Seminar in Bad Schwalbach
sowohl sein Judentum ‚zugegeben‘ hatte, als auch die Tatsache, dass er als Kind
eine Therapie in der Tavistock-Klinik gemacht hatte, wurde er nach
Augen-zeugenberichten von Mitar-beiterInnen des Schiller-Instituts „in die
Mangel genommen“ (Duggan-Anwalt Nicolas Becker). Offenbar wurde massiver
psychischer Druck auf ihn ausgeübt.

Unregelmäßigkeiten

Jeremiahs letzte Telefonate und sein Tod fanden wenige Tage nach dem Seminar
statt. Bis heute ist nicht geklärt, was in der Zeit zwischen Seminar und Unfall
passiert ist. Man weiß nicht, von wo er die Telefonate führte oder wie er vom
Wiesbadener Rheingauviertel, wo er bei LaRouche-AnhängerInnen untergekommen war,
zum Unfallort gekommen ist. Unklar ist, warum die Polizei den Reisepass von
Jeremiah bei Ortrun Kramer abholen musste, während die meisten anderen
persönlichen Gegenstände an seinem Schlafplatz gefunden wurden. Der Mantel, den
er in den Tagen vor seinem Tod getragen hatte, konnte dagegen bis heute nicht
aufgefunden werden. 
Zudem erscheinen auch die unmittelbaren Umstände des angeblichen Selbstmords
sehr zweifelhaft: warum sollte Jeremiah mehrere Kilometer laufen, um sich dann
auf einer Schnellstraße vor einen PKW zu werfen, wenn ihm mit Bahnstrecken und
Flüssen wesentlich naheliegendere Möglichkeiten zum Suizid zur Verfügung
standen? Ohnehin ist es „extrem selten“ (Becker), dass sich SelbstmörderInnen
vor Autos schmeißen. Aber auch diese Unregelmäßigkeiten hinderten die
Staatsanwaltschaft Wiesbaden nicht daran, die Ermittlungen einzustellen. Den
Duggans bleiben nur ihre privaten Ermittlungen. Jere-miahs Eltern behaupten
nicht, dass ihr Sohn von Mitgliedern des LaRouche-Netzwerks ermordet wurde. Sie
verlangen von den deutschen Behörden lediglich eine ernstzunehmende Untersuchung
der Ereignisse. Und sie wollen junge Leute, die das wichtigste
Re-krutierungspotential der Sekte bilden, vor der BüSo und anderen
LaRouche-Organisationen warnen.


SEBASTIAN SCHNEIDER

geändert:10.06.2005ap